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Mareike Drobny - Debütantenausstellung Kunsthaus Nürnberg 2011

Einführung von Walter Hettich

Sie zeichnet Wege auf. Jede Bewegung verläuft in der Zeit und hat ein Ziel.
Ungleichartige, unregelmäßige, vielgestaltige Bewegung.

Der Begriff „Bildhauerei“ läßt uns an statisch Geformtes, massig Materielles denken. Auch „Skulptur“, „Plastik“, „Objekt“ bleiben Materie-verhaftet.

Welten-Wanderin und heimliche Stickerin zu sein: so begegnet uns Mareike Drobny in ihrem Werk, dessen Leichtigkeit der Erscheinung die Ernsthaftigkeit und Aktualität dieses künstlerischen, bildnerischen Schaffens fast sanft kaschieren.

Sie bewegt sich, sie zeichnet ihre Wege ohne Unterlass auf - ihre hinterlassene Spur wird dabei digitales Zeugnis ihrer Existenz, ihres temporären Da-Seins, ihres künstlerischen Wirkens.
Brühl in Deutschland, Budapest in Ungarn, Ziguinchor in Senegal, Hiroshima in Japan und Robben Island in Südafrika – Orte, an denen Mareike Drobny sich bewegte, dabei in Hiroshima z. B. über den Zeitraum eines Jahres immer wieder den profanen alltäglichen Weg von Wohnplatz zur Universität zurücklegend, in das Zentrum der Stadt, dann hin und wieder die Peripherie abtastend oder auf Robben Island die Insel umrundend, im Bewusstsein der räumlichen Begrenzung eines Eilands.
Die dreidimensionale Bewegung wird als dynamische Skulptur – die eigene Person dabei als Teil davon definierend - permanent Schritt für Schritt digital in GPS-Daten fixiert – und dies konsequent über Jahre hinweg an den unterschiedlichsten Orten.

Der Niederschlag dieser momentanen, sich nach jedem Schritt verflüchtenden Formung findet sich zum einen in endlos anmutenden gedruckten Papierlisten mit rationalen geographischen Ortsdaten wieder, die strukturiert und grafisch übersetzt uns andererseits in wunderbar filigranen Zeichnungen - einer Poesie des Striches und der Linienführung - visualisiert begegnen.
Die Bewegung der Person wird zur kunstvollen freien Zeichnung, der virtuelle Graphitstift scheint sich feinfühlig über das Papier zu bewegen, dann durch die Intensität des Bewegens tiefschwarz in die Oberfläche einzugraben.

Es sind Manifestationen der Bewegung – weitläufig und fern von hier, von uns aus gesehen, aber zusammen- gezogen und konzentriert am eigentlichen Platz:
aus elementarer Bewegung, die begrenzt und beeinflusst ist durch Ziel und Zeit - auch durch physische Unweg-samkeiten - gestaltet sich Form:
Kreise, Ovale, Kreuzartiges und Verschlungenes mit Auswüchsen entstehen. Es sind jeweils Annäherungen an den unbekannten Ort, durch die Handlung der Künstlerin wird er für uns auf neue Weise lesbar, schafft einen typisierenden Abdruck in unserem Gedächtnis.
Kennen wir den Ort bereits, bringt uns die Transformation der Daten als Zeichnung seine Lebendigkeit wieder.

Die Frage bleibt offen, ob Mareike Drobny dabei die rolle einer Nomadin inne hat, getrieben von sich selbst, auf der Suche nach sich selbst, dabei durchaus unseren Zeitgeist, die Rastlosigkeit und den technischen Hype unserer Generation reflektierend, in diesem Zuge aber auch die Innovation von kommunikativen Mitteln als künstlerisches Werkzeug nutzend.

Oder ist sie Welten-Wanderin, das Hier und jetzt betrachtend, in sich ruhend, immer am richtigen, an ihrem Ort?
Denn wir sind auch konfrontiert mit den Kreuzstichen: mit Nadel und Faden auf Stoff, auf Bauerleinen, in alter Manier aufgebracht. Muster, die sich bei genauem Hinsehen aufschlüsseln: nicht in einfache Klecksformen eines Rorschachtests, nein, sie offenbaren sich als Weltkarten mit Umrissen der Kontinente unseres Planeten – vielleicht als neue Definition unserer Welt, mit Konstellationen einer besseren Welt, entstanden im Spiel und in der Phantasie der Stickerin, oft vierfach gespiegelt – im Sinne der Kreuzstichanlage, zur Kummulation von Masse werdend, dominierend, verwoben, ausufernd und sich wieder auflösend, eben dann doch vielleicht zu Wesen bildend.

In gleicher Weise generieren sie sich zu einer grafischen Gedichtform, ähnlich der Linienzeichnungen – sie dringen durch unser Auge in uns, werden wortlose Poesie – die wir in unserem Unvermögen, nicht zu denken, versprachlichen und ihr Bedeutung geben müssen.



Akribisch ist die Arbeit von Mareike Drobny zuweilen, die nach ihrem Studium der freien Kunst und der Bildhauerei an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn ihr Diplom und ihren Meisterschülertitel erwarb und Gelegenheit hatte, an der Hiroshima City University in Japan eine Studienzeit zu verbringen – eine Zeit, die mit Sicherheit nicht ohne Spuren, zumindest nicht ohne GPS-Spuren, an ihr vorbeigegangen ist.

Auf dieser Seite die Welten-Wanderin (wohlgemerkt: nicht Weltenbummlerin), die uns ihre globale Manifestation ihrer Verortungen vorlegt, auf der anderen Seite das Zurückziehen in die Heimlichkeit – der geographische Heimatort ist dabei austauschbar, der eigentliche Heimort ist das bei sich selbst sein an allen Orten dieser Welt, der Moment der Selbstfindung.
Hier zurückgezogen entstehen diese Werke mit Kreuzstichen, eine traditonelle Arbeit im neuen Kontext, dabei in der Anzahl der ausgeführten Nadelstiche auf Dauer physisch schmerzhaft – bei sich sein und dabei Schmerz empfindend – eine scheinbare Tragödie.
Es muss ja getan werden um seiner selbst Willen, nein, um der Kunst Willen.
Eine Sache, die vollbracht werden will, weil es Sache des Künstlers, sein Antrieb, sein Wirken, seine Begierde ist – typisch, es begegnet uns in in der Kunst ja immer wieder, es ist Teil der Kunst.

Gegangene Wege, die sich zur Form verbinden, genähte Kreuzstiche, die ein anderes kontinentales Weltbild zeigen, abgelegte Kleidung, die zertrennt, dann neu genäht und in beflügelte Form gebracht zum Paradiessucher wird, sich bindet im Schwarm, der uns wiederum in den Bann seiner angedeuteten Bewegung zieht, aufstrebend – die Bewegung unserer Gedanken frei gibt.

Kommen wir zurück zur Bildhauerei: sie muss nicht länger in Stein gehauen, in Bronze gegossen oder in Kunststoff geformt sein. Sie kann virtuell in unserem Kopf entstehen, verstehen wir diese Art der Bildhauerei als fast transzendent – imanent nur in einer minimalistischen visuellen Darstellung, hinter der sich der geographische Raum unserer Vorstellung und unserer Wünsche bilden und konzentrieren kann.